Was tun gegen Mobbing

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Warum ich?

Ein anonymer Erlebnisbericht

Angefangen hat alles in der dritten Klasse. Damals habe ich relativ schnell geweint, habe nicht wirklich gewusst, wie ich mich gegen die Mobberin und ihre Gruppe wehren konnte. Ich vermute jetzt, dass mich das zum „perfektem Opfer“ gemacht hat, dass ich so schnell geweint habe, dass ich viel schneller eine Reaktion zeigte, als es vielleicht bei anderen Kindern der Fall gewesen wäre. Ich kann mich gar nicht so genau an die einzelnen Erlebnisse erinnern, da ich diese irgendwann verdrängte. Ich weiß aber noch genau, wie ich mich gefühlt habe: dass die Zeit, in der ich gemobbt wurde, schon fast die Hölle auf Erden für mich war. Angefangen hat es mit fiesen Spitznamen und Ärgern: „Heul doch!“ oder „Ohhh, Pipi* hat gefurzt! Wir ersticken“, klingt zwar erst einmal nicht sooooo schlimm. Doch so etwas regelmäßig immer wieder zu hören, war schlimm für mich. Und das wäre es sicherlich auch für einige andere Leute. Die Lehrer haben nicht wirklich etwas dagegen gesagt, nicht einmal, wenn es den Unterricht störte. Ich hatte auch Anschluss zu anderen Kindern, zu einer Gruppe, zu der ich gehörte. Aber das waren Kinder aus der Parallelklasse, ebenfalls die Außenseiter in ihrer Klasse. Positive Kontakte in meiner eigenen Klasse hatte ich nicht. Mittlerweile weiß ich, dass ich das meiste, was mir damals im Einzelnen passiert ist, ausblende. Denn erst als ich später mein Tagebuch gelesen habe, habe ich erfahren, dass ich nicht nur beleidigt wurde. Beispielsweise habe ich dort geschrieben: „Bully* ist sehr, sehr, sehr gemein zu mir, denn sie veralbert mich und schubst mich auch.“ Das war am Ende der dritten Klasse. Ansonsten weiß ich nur noch, dass es immer so weiterging.

Irgendwann in der vierten Klasse hat meine Lehrerin dazu gesagt, es sei ja meine Schuld, dass ich geärgert werde, da ich ja auch so schnell anfange zu weinen. Das hat Folgen bei mir hinterlassen. Hier eine Bitte an ALLE die das lesen: Sagt bitte niemandem so einen Quatsch. Es bringt Folgen mit sich, die oft nach Jahren noch zu erleben sind. Seit dem Zeitpunkt – und selbst jetzt noch an einigen Tagen – suche ich den Fehler, den Grund für das Mobbing bei mir. Dann kam es dazu, dass die Mobberin gezwungen wurde, sich bei mir zu entschuldigen. Danach war sie für einige Zeit nett zu mir, hat versucht, mein Vertrauen zu bekommen, nur um dann wieder mit dem Mobbing anzufangen. Es war nicht, weil sie mit mir befreundet sein wollte, vermutlich wollte sie mich verarschen. Auch das hat bei mir Folgen hinterlassen: Noch heute erwarte ich von vielen neuen Leuten eine böse Intention, wenn sie versuchen sich mit mir anzufreunden. Einmal hat ein Mädchen, das in der Gruppe der Mobberin mitgemacht hat, sonst aber nett war, mich dann gefragt, ob ich mit der Gruppe ins Freibad will. Ich bin glücklicherweise nicht gegangen. Denn im Nachhinein habe ich dann erfahren, dass die mich vom Fünf-Meter-Brett schubsen wollten. In der fünften Klasse war die Mobberin zwar nicht in meiner Klasse, doch selbst die vier Stunden Kunst und Musik haben gereicht, mich weiter zu peinigen. Das war bereits an der KGS, und die Musiklehrkraft hat auch nichts dagegen gemacht.

Bereits in der vierten und fünften Klasse wollte ich oft nicht mehr zur Schule, oder gar nicht mehr aufwachen. Dann habe ich in der fünften Klasse meine Klassenlehrkraft über das Mobbing informiert. Damals habe ich immer versucht, so „kalt“ wie möglich zu wirken, denn die Worte meiner Lehrkraft der vierten Klasse waren noch deutlich in meinen Gedanken. Meine Klassenlehrkraft der fünften Klasse hat mir dann gesagt, dass ich ein wenig emotionaler sein solle. Vermutlich sei ja mein Mangel an Emotionen das, was die Mobberin und ihre Gruppe motiviere. Wieder habe ich den Fehler bei mir gesucht. Ich fing an mich zu verabscheuen, wollte mich kaum noch ansehen: „Ich kann ja eh nichts richtig machen, warum sollte ich dann noch leben?“ – Das habe ich gedacht, und solche Gedanken sollte eigentlich niemand haben. In der sechsten Klasse habe ich versucht, meine Eltern zu überreden, zur Therapie gehen zu dürfen. Ich hatte inzwischen verstanden, dass meine Gedanken anders waren – viel brutaler – als die meiner Freunde. Ich hatte Angst vor der Mobberin und alles wirkte hoffnungslos. Denn es waren ja inzwischen schon mehrere Jahre, in denen sie nie Konsequenzen für ihr Verhalten bekam. Ich ließ alles über mich ergehen, hoffte einfach, das alles bald vorbei wäre. Meine Mutter hat auch die Eltern der Mobberin kontaktiert, aber die haben auch nie was gemacht. Lehrkräfte haben höchstens gesagt, dass sie sich mal bei mir entschuldigen soll. Sie haben nicht einmal kontrolliert, ob sie das überhaupt macht. Und ich versuchte während dieser Höllenzeit mein bestes, um so zu tun, als sei alles gut. Ich fühlte mich alleine, unwichtig. Damals hat niemand über Mobbing-Erfahrungen gesprochen, das Wort Mobbing wurde so selten gesagt. Und ich wusste nie, wie mir zu helfen war.

Ich habe mich dann öfters verletzt – ganz bewusst auf eine Weise, dass niemand es mir ansehen konnte. Denn das wäre ja ein weiterer Angriffspunkt gewesen. In der Schule habe ich gescherzt, dass ich aus dem Fenster springe. Andere Wege, den nächsten Tag nicht zu erleben, mich selbst zu töten, habe ich dann tatsächlich versucht. Erst als ich meiner Mutter Ende 2019 erzählte, was ich versuchte, bekam ich die nötige Hilfe. Die Mobberin verschwand irgendwann in der siebten Klasse aus meinem Leben, und ich will auch nichts von ihr wissen. Jedoch sind ihre Worte in meine Erinnerungen eingraviert. Inzwischen bin ich in der 10. Klasse und noch immer in Therapie. Noch immer habe ich Probleme, morgens aufzustehen. Auch ist das Leben an sich nicht mehr wie vorher. Ich wurde lange Zeit für alles fertig gemacht, für meine Tränen, für mein Lachen. Und selbst jetzt, Jahre später, habe ich panische Angst, dass mich jemand weinen sieht. Ich traue mich immer noch nicht, vor Fremden zu lachen. Ich hoffe immer noch an schlechten Tagen, den nächsten Morgen nicht zu erleben. Auch, wenn ich die Mobberin nicht mehr sehe, hat sie bei mir Narben hinterlassen. Sichtbar sind die zwar nicht, doch selbst jetzt versuche ich noch zu verstehen, was ich getan habe, dass sie mich hasste.

* Die Namen wurden geändert.

Was tun gegen Mobbing?!

von Alissa (Jg. 5), Artur (Jg. 6), Leevke (Jg. 5), Lene (Jg. 6), Luca (Jg. 6), Rosa (Jg. 5) und Simon (Jg. 6)

Der Erlebnisbericht ist zwar anonym, aber was dort steht, ist tatsächlich passiert. Wir IRREGULäR-Redakteur*innen waren von dem anonymen Erlebnisbericht sehr betroffen und finden es traurig, dass viele Schüler*innen solche Situationen erleben müssen – teilweise sogar über sehr lange Zeiträume. Um mehr darüber zu erfahren, haben wir uns an das Mobbing-Interventionsteam (abgekürzt: MIT) gewandt. Das MIT besteht zur Zeit aus drei Lehrer*innen: Frau Schneemann, Frau Ildiz und Frau Szyltowski. Sie haben eine spezielle Ausbildung zum Thema Mobbing gemacht. „Intervention“ heißt übrigens „Eingreifen“ – das MIT hat also die Aufgabe, bei Mobbing einzugreifen, damit es aufhört. Außerdem ist es auch für Mobbingprävention zuständig. „Prävention“ heißt „Vorbeugen“ – damit Mobbing gar nicht erst entsteht.

Wir IRREGULäR-Redakteur*innen haben für diesen Beitrag daher selbst Mobbingprävention gemacht: Zuerst haben wir typische Mobbing-Szenen nachgestellt. Dabei konnten wir uns in die Rolle eines Mobbing-Opfers einfühlen und auch erleben, welche Macht die „Täter*innen“ über das „Opfer“ haben – selbst wenn man es nur nachspielt. Dann haben wir Fragen zum Thema Mobbing gesammelt und ein Interview mit dem MIT geführt.

Beim Mobbing wenden sich viele gegen Einen. Das Opfer kann sich daher nicht selbst aus seiner Lage befreien.
Jemanden auslachen, demütigen, anpöbeln und beleidigen, ist verbale Gewalt. Das Mobbingopfer leidet seelisch.
Wenn ein und dieselbe Person immer wieder ausgeschlossen wird, ist das Mobbing.

Interview mit dem Mobbing-Interventionsteam

Was ist der Unterschied zwischen Mobbing und Ärgern?

MIT: Sowohl beim Ärgern als auch beim Mobbing wird jemandem Schaden zugefügt. Wenn ihr von „Ärgern“ sprecht meint ihr sicherlich, dass man jemandem einen fiesen Spitznamen gibt, dass man fiese Sprüche macht, etwas wegnimmt oder auch körperliche Handlungen wie Schubsen oder Treten. Ob es sich bei einem solchem schädigenden Verhalten um Mobbing handelt, hängt davon ab, ob weitere Merkmale von Mobbing erfüllt sind. Mobbing erkennt man an vier Merkmalen:

  1. Mobbing ist ein schädigendes, aggressives Verhalten.
  2. Mobbing richtet sich systematisch gegen eine Person.
  3. Mobbing ist ein Gruppengeschehen. Zwar gibt es meist eine*n Haupttäter*in, aber (fast) alle anderen, die zur Klasse oder Gruppe gehören, spielen im Mobbingsystem auch eine Rolle.
  4. Mobbing findet über einen längeren Zeitraum statt. Das können ein paar Wochen sein, oft geht Mobbing aber auch über mehrere Jahre.

Wenn alle vier Merkmale erfüllt sind, ist es Mobbing. Das heißt aber nicht, dass anderes schädigendes Verhalten nicht so schlimm ist, bloß weil es kein Mobbing ist. Schädigendes Verhalten ist immer in Problem. Man muss dann aber anders vorgehen, um das Problem zu lösen.

Was ist, wenn man mit jemandem einfach nichts zu tun haben möchte? Ist das auch Mobbing?

MIT: Das kann auch Mobbing sein, nämlich wenn eine bestimmte Person über einen längeren Zeitraum von allen aus einer Gruppe ausgeschlossen wird. Dass sich zwei Personen einfach nicht leiden können und sich deshalb aus dem Weg gehen, kommt ja häufiger vor – das ist kein Mobbing. Wenn aber eine*r von beiden dafür sorgt, dass auch Mitschüler*innen nichts mehr mit der anderen Person zu tun haben wollen, und diese daher nirgends mehr Anschluss findet, dann kann daraus Mobbing werden. Ob eine Mobbingsituation entsteht, hängt davon ab, ob sich die anderen aus der Klasse oder Gruppe mit hineinziehen lassen und sich dem Opfer gegenüber ebenfalls abweisend verhalten.

Was kann man gegen Mobbing tun?

MIT: Dabei spielen die Mitschüler*innen, die selbst nicht direkt involviert sind, aber von dem Mobbing etwas mitbekommen, eine wichtige Rolle. Diese müssen sich entscheiden, ob sie zu Mittäter*innen werden, in dem sie zuschauen oder auch „wegschauen“, oder ob sie dabei helfen das Mobbing zu beenden. Um das Mobbing zu beenden, müssen Schüler*innen nichts weiter tun, als sich umgehend an eine Lehrkraft ihres Vertrauens zu wenden, und diese über das Mobbing zu informieren. Natürlich ist es auch sehr hilfreich, wenn Mitschüler*innen in einer Mobbingsituation direkt eingreifen und versuchen, eine*n Täter*in davon abzuhalten, das Opfer zu schädigen. Wer sich das aber nicht zutraut, muss es auch nicht tun. Wer allerdings etwas mitbekommt und trotzdem keine Lehrkraft informiert, trägt selbst zum Mobbing bei.

In dem Erlebnisbericht haben die Lehrkräfte aber nicht gut reagiert.

MIT: Das stimmt. Wenn Lehrkräfte falsch reagieren, können sie das Mobbing sogar verschlimmern, dann werden sie unabsichtlich auch zu Mittäter*innen. So etwas kann passieren, wenn Lehrkräfte sich nicht mit dem Thema Mobbing auskennen. Damit das nicht passiert, gibt es an der KGS Rastede unser Mobbing-Interventionsteam. Wenn ein*e Schüler*in einer Lehrkraft einen Mobbingfall meldet, kann sich die Lehrkraft an uns wenden und wir unterstützen dann. Das Mobbing-Interventionsteam arbeitet sowohl mit den Schüler*innen als auch mit den Lehrkräften.

Warum werden Schüler*innen überhaupt zu Mobber*innen?

MIT: Weil sie sich dadurch stark fühlen. Beim Mobbing geht es um Macht. Darin unterscheidet sich Mobbing von Konflikten oder Streit. Bei Konflikten geht es immer um eine Sache und man kann den Konflikt schlichten, indem die Konfliktparteien einen Kompromiss finden. Bei Mobbing geht es nicht um irgendeine Sache, daher kann es auch keinen Kompromiss geben. Beim Mobbing gibt es Täter*innen und Opfer. Das Opfer kann nichts dafür, dass es gemobbt wird. Oft schieben die Täter*innen zwar einen Grund vor, um ihr Verhalten zu rechtfertigen. Aber eigentlich geht es ihnen darum, Macht über das Opfer zu haben. Sie fühlen sich stark, wenn das Opfer Angst vor ihnen hat. Und sie denken, dass sie dadurch auch stark und cool vor anderen Mitschüler*innen rüberkommen.

Warum werden manche Schüler*innen zu Opfern und andere nicht?

MIT: Das ist gar nicht unbedingt so. Mobbing kann tatsächlich jede*n treffen. Denn es hat keinen Grund, außer dass eine Person sich stark fühlen will und sich daher ein Opfer sucht, dass sie drangsalieren kann. Meistens suchen sich die Täter*innen ein „leichtes Opfer“, also eine Person, von der sie erwarten, dass sie nur wenig Unterstützung von anderen bekommt. Opfer sind daher oft neue Schüler*innen oder Schüler*innen, die nicht so viele Freund*innen haben. Auch Schüler*innen, die schüchtern sind oder sich nicht wehren, sind „leichte Opfer“. Ein Mobbingopfer ist aber nie „selbst schuld“ an seiner Situation. Es kann sich auch nicht irgendwie anders verhalten, damit das Mobbing aufhört. Deshalb ist es so wichtig, dass von außen Hilfe kommt: weil sich das Opfer nicht von selbst aus der Situation befreien kann.

Warum kommt es in manchen Klassen verstärkt zu Mobbing?

MIT: Mobbing wird durch ein schlechtes Klassenklima begünstigt. Wenn in einer Klasse viel Streit ist und sich die Schüler*innen gegenseitig nicht respektieren, dann sind alle „Einzelkämpfer“. Daher gibt es in einer solchen Klasse mehr Schüler*innen, die wenig oder keine Freund*innen haben und daher „leichte Opfer“ sind. Andererseits haben Schüler*innen in einer solchen Klasse eher das Gefühl, sie müssten darum kämpfen, von den anderen anerkannt zu werden. Und dann versuchen sie das mitunter auch durch aggressives Verhalten oder Mobbing. In einer Klasse, die sich als Gemeinschaft versteht, kann sich Mobbing nicht so leicht verfestigen, weil sich immer jemand findet, der das Opfer unterstützt.

Können sich Schüler*innen, die Mobbing beobachten oder die selbst Opfer sind, auch direkt an das Mobbing-Interventionsteam wenden?

MIT: Ja, klar. Wir haben dafür eine E-Mail-Adresse: mit@kgs-rastede.eu. Alle Schüler*innen, die uns eine E-Mail schreiben, können darauf vertrauen, dass wir das, was uns mitgeteilt wird, vertraulich behandeln.

Frau Schneemann
Frau Ildiz
Frau Szyltowski
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